Schon in einigen Reiseberichten zuvor hatte ich erwähnt, dass ich gerne einmal für eine Fotoreise in die USA reisen würde. Vor meinem inneren Auge hatten sich Bilder mit wilden Mustangs vor roten Felsen aufgebaut, welche von weitem Land und Cowboys am Lagerfeuer. Indianer auf gescheckten Ponys kamen in diesen Vorstellungen vor und jede Menge Natur. Im großen und ganzen träumte ich von einer Welt wie Karl May sie in seinen Büchern beschrieben hatte… Natürlich war auch mir klar, dass es das Amerika aus diesen Erzählungen nicht wirklich gab, aber was hatte Gabriele nicht schon alles an unmöglichem möglich gemacht?
Ende 2011 kam dann endlich die Nachricht, dass es eine Fotoreise in die USA geben würde; im Juni 2012 sollte es soweit sein. Nicht zu viel erwarten sollte ich mir, war immer die Devise, die Gabriele ausgab. Die Reise sei schwierig zu organisieren und die Amerikaner nicht so leicht für eine solche Unternehmung zu begeistern wie beispielsweise die Züchter in Südeuropa. Im Frühjahr 2012 überschüttete Gabriele mich dann mit dem ausführlichen Fluch, dass ich an ALLEM Schuld sei. Naja, damit konnte ich leben – so was bin ich gewohnt, das geht mir jeden Tag so. Sie erzählte weiter, dass es bis zum Reiseantritt nur noch wenige Wochen seien und dass noch immer zwei Übernachtungsmöglichkeiten fehlen würden, denn die Hotels rund um den Yellowstone-Park sind eigentlich immer schon ein Jahr im voraus ausgebucht. Gut, das hörte sich nach Problemen an, aber wie immer hatte ich Vertrauen in Gabriele, und so machte ich mir dazu weiter keine Gedanken.
Gedanken habe ich mir dann schon eher dahingehend gemacht, wie denn eigentlich meine Einreise in die USA von statten gehen würde, da Gabriele doch beschlossen hatte, einen Tag früher dorthin zu reisen. Bekanntermaßen sind meine Englischkenntnisse recht übersichtlich, und bei der Emigration muss man auf Fragen antworten. Also begann ich einige Wochen vor Reiseantritt damit, mich mit den beiden Flughäfen vertraut zu machen, die ich anfliegen würde. Ein guter Bekannter, der auf den großen Flughäfen dieser Welt quasi zu Hause ist, sollte mir dabei helfen. Also saßen wir eines Tages an verschiedenen Orten in Deutschland vor dem Lageplan des Chicagoer Flughafens und rätselten über die beschriebenen Areale. Eine Emigration war jedoch nicht eingezeichnet. Ganz prima! Der Lageplan des Flughafens in Jackson Hole wies zudem keinen Zoll aus. „Weißt du, was das heißt?“ wurde ich gefragt. Mir schwante Schreckliches: Koffer in Chicago aufnehmen, durch den Zoll bringen und wieder aufgeben. Eine weitere Möglichkeit, in einer fremden Sprache eine Diskussion führen zu können… „Ah, noch eine kurze Frage: Wie lange hast Du Aufenthalt?“ „Zweieinhalb Stunden.“ „Oh! DAS könnte sportlich werden!“ Ja, danke für’s Gespräch! Vielleicht sollte ich die Reise einfach doch stornieren?!
Hab ich natürlich nicht! Es würde schon irgendwie gehen – notfalls mit Händen und Füßen.
Wie sagt der Kölner so schön: et hät noch emmer joot jejange!
Ich beantrage also im Internet via ESTA meine Einreise in die USA, welche die Formalitäten vor Ort vereinfachen soll und die auch vorläufig genehmigt wird. Außerdem beschließe ich einige Tage vor Abflug dann noch schnell Plan B: der, der im Flieger neben mir sitzt, reist mit mir ein! Ein wie ich finde ausgesprochen genialer Plan.
Alle anderen Reisevorbereitungen laufen wie immer ab. Diesmal brauche ich mir noch nicht einmal verstärkt um meine Kleidung Gedanken zu machen wie im letzten Jahr für die Ägypten-Reise. Vielleicht noch an genügend warme Jacken denken, denn in den Bergen, wir sind schließlich in den Rocky Mountains, kann es ja immer mal etwas kühler sein.
Und dann ist es endlich so weit: Koffer und Rucki gepackt, vom Lebensverschönerer mit gemischten Gefühlen verabschiedet, lasse ich mich am späten Vormittag des 13. Juni zum Düsseldorfer Flughafen bringen. Der Flieger soll um 13:00 Uhr starten, und ich will früh genug da sein, denn ich erwarte eine mehr als ausführliche Sicherheitskontrolle. Was kann man nicht alles in diesem gefährlichen Fotoequipment versteckt halten?! Und da sind die Amis doch bestimmt besonders empfindlich. Also checke ich am Lufthansa-Schalter wie immer ein und begebe mich zur Sicherheitskontrolle. Dort: alles wie immer! Ich muss den Rucki noch nicht einmal öffnen. Kein Objektiv zeigen, nicht die Kamera herausholen. Na, dann kommt doch bestimmt später noch mal was! Auf dem Weg zum Gate darf ich noch zwei weitere Male meinen Pass vorzeigen (und das sogar innerhalb von max. 15 Metern!) – eine Sicherheitskontrolle gibt es aber nicht mehr. Sehr seltsam! Somit bin ich also viel zu früh da und habe Zeit, mal wieder meine Mitreisenden zu betrachten – so lustig wie im November wird es aber leider heute nicht. Als der Flug aufgerufen wird und ich in der Schlange stehe, sehe ich schon meinen innigsten Wunsch nach einer ausführlichen Sicherheitskontrolle erfüllt: hinter dem Wartebereich befindet sich ein Flur, rundherum mit Glas abgegrenzt, in dem mehrere Tische stehen, an denen Zollbeamte sitzen. Aha! Da kommt sie nun, die große Filzerei! Vorn steht eine Zollbeamtin, die diejenigen Passagiere auswählt, die noch einmal überprüft werden sollen und ich rechne fest damit, dass ich und mein gefährlicher riesiger Rucksack jetzt freundlich zur Seite gebeten werden. Die Dame guckt einfach durch mich hindurch, scannt den Raum weiter nach dubiosen Individuen ab, zieht eine junge Mutter mit Kleinkind heraus und ich betrete ohne weitere Vorkommnisse das Flugzeug. Pah! Wie langweilig!
Der 9stündige Flug verläuft ruhig und angenehm; die Zollpapiere sind noch auszufüllen, aber das ist dann auch schon die größte Aufregung. Nebenbei sei noch bemerkt: ich sitze in der mittleren Reihe am Gang – die beiden Sitze rechts neben mir sind frei. Plan B somit gescheitert!
Das große Flugzeug ist mit vielen Bildschirmen ausgestattet, womit sich unsere Flugroute gut verfolgen lässt: wir fliegen über die britischen Inseln, an Island vorbei und über Kanada bis Chicago.
Dort angekommen folge ich mangels persönlicher Begleitung der Masse. Irgendwann wird unterschieden zwischen amerikanischen Staatsbürgern und nicht amerikanischen Staatsbürgern, aber diese Beschilderung kann ich gerade noch so verstehen. Außerdem scheinen die meisten Mitreisenden mein Schicksal zu teilen. Dann kommen wir in einen riesigen Saal, der durchzogen ist mit diesen Bändern, welche die Schlangenbildung vereinfachen. Am anderen Ende Schalter. Die Personen in meiner Schlange halten alle ihre Pässe bereit, aber im Zuge der europäischen Union sehen die von weitem alle gleich aus. Wie also herausbekommen, wer mir hier im Notfall helfen kann? Ich rücke dem Typen vor mir ein wenig auf die Pelle und schiele auf seinen Pass: Volltreffer, er ist Deutscher. Also schnell mal angequatscht, ein wenig Smalltalk gehalten und gefragt, ob er mir, dem armen kleinen Dummchen, nicht vielleicht behilflich sein könnte, wenn’s schwierig wird. Natürlich verspricht er, ganz Gentleman, mir zur Seite zu springen, wenn ich zu scheitern drohe. Ist aber gar nicht nötig: als ich die erste gestellte Frage nur zögernd, aber offensichtlich richtig beantworte, beschließt die Dame hinter der Glaswand, nur noch in Zeichensprache mit mir zu kommunizieren. Erst die vier Finger der linken Hand auf den Scanner legen, dann den Daumen; danach das gleiche Prozedere mit der rechten Hand, noch dumm in die Kamera geguckt. Fertig! Ein leichter Wink ihrer Hand, verbunden mit einem genervten Blick, scheucht mich aus dem Schalterbereich. Direkt dahinter kommen die Kofferbänder, und als ich meinen Koffer in Empfang genommen habe, ist der Typ, der mir helfen wollte, auch verschwunden. Ich kann mich noch nicht mal bedanken und verabschieden. Dann jetzt durch den Zoll. Ich halte meine ausgefüllte Karte krampfhaft fest und folge den Schildern, direkt auf zwei Damen in Uniform zu. Deren Blicke kreisen durch den riesigen Raum der Emigration und im Vorbeigehen nehmen sie meine Karte entgegen, ohne mich in irgendeiner Weise weiter bemerkt zu haben. Der Einreisestrom zieht mich weiter: es folgt eine Unterteilung in diejenigen, die hier in Chicago bleiben wollen, und die, die zu ihren Anschlussflügen müssen. Hinter der Tür Kofferbänder und ein netter Herr, der mir meinen Koffer abnimmt und aufs Band hinaufwuchtet. Was denn? Das war’s? Ich bin drin?? Ja, der Blick hinter die nächste Schwebetüre beweist: ich kann mich frei bewegen, kann mein neues Gate suchen oder zu den Parkplätzen gehen – ich bin drin! Und es hat auch gar nicht weh getan. Das muss ich schnell den Lebensverschönerer wissen lassen, der mich amüsiert beglückwünscht.Gabriele hat mir geraten, auf die Hochbahn zu verzichten und zu Fuß den Weg zum neuen Gate zu suchen, da die Hochbahn immer so voll sei, ich lange warten müsse und dann ein Zeitproblem bekommen würde. In der Wartehalle vor der Hochbahn sind aber kaum Menschen, weshalb ich beschließe mir eine solch volle Bahn mal genauer anzusehen. Es vergeht keine Minute, da kommt eine angefahren, die fast leer ist. Laufen? Sicher nicht! Der Plan in der Bahn zeigt an, dass diese im Kreis fährt – aber Terminal 1 ist nicht darauf verzeichnet. Doch die falsche Bahn genommen? Im Zweifel steig ich halt in Terminal 5 wieder aus und laufe doch. Aber bald zeigt die Digital-Anzeige Terminal 1 an und mir wird wohler. Aussteigen, loslaufen, eine Rolltreppe nach oben, Tür auf: Terminal 1. Passkontrolle, Sicherheitskontrolle, abbiegen nach links, 10 Schritte laufen, Gate nach Jackson Hole finden, hinsetzen, durchatmen und auf die Uhr sehen: seit der Landung ist gerade mal eine Stunde vergangen! Nix mit sportlich!
Am Vorabend habe ich bereits mit einer Teilnehmerin telefoniert, die laut Anette den selben Flug nach Jackson nehmen würde wie ich. Sabrina müsste also eigentlich auch jeden Moment hier ankommen. Das geschieht auch einige Minuten später, wir machen uns bekannt und vertreiben uns die Zeit bis zum Weiterflug mit alten Geschichten bis wir die neue Maschine besteigen dürfen. Ich sitze noch nicht ganz, als eine blonde junge Frau zu mir sagt: „Ah, du gehörst auch zur Reisegruppe Boiselle?!“ Wow! Was genau steht da auf meiner Stirn geschrieben?? „Äh, ja. Kennen wir uns?“ „Ja,“ sagt sie, „ich bin Manuela aus der Schweiz. Wir waren zusammen auf Mallorca!“ Ach was?! Mein Personengedächtnis war auch schon mal besser. Aber ich freu mich trotzdem; sind wir doch jetzt schon zu dritt. Da die Maschine nicht gut gebucht ist, beschließen wir, uns zusammen zu setzen. Die Zeit vergeht buchstäblich wie im Flug, wir erzählen und schauen immer wieder aus dem Fenster bis wir die Rockys unter uns erkennen können. Was für ein Anblick! Jetzt die große Kamera heraus zu kramen, ist mir dann doch zu umständlich, weshalb es auch Bilder mit dem iPhone tun müssen. Aber ganz undokumentiert kann es einfach doch nicht bleiben.
Entlang einer Bergkette setzt der Flieger zur Landung an. Hoffentlich weiß der Kapitän was er tut, denn die Berge scheinen zum Greifen nah.
Aber das Flugzeug setzt sicher auf, wir verlassen es innerhalb kürzester Zeit und laufen zum Gebäude. Vor der Eingangstür steht ein riesiger Bogen aus Geweihen; wo sie die vielen Dinger wohl her haben mögen? Eine kurze Berührung eines Geweihs mit dem Finger sagt mir, dass das kein Plastik ist…Als wir in die Halle treten, sehe ich am anderen Ende schon Gabriele stehen. Über ihr ein riesiges Schild: Rent a Car! Na, da bin ich doch sicher gleich gefragt. Und richtig: sie winkt schon: „Komm schnell her. Du musst noch unterschreiben!“ Sicher, und den Führerschein vorlegen. Alles wie immer! So mag ich das!
Die beiden anderen haben in der Zwischenzeit ihre Koffer abgeholt – das muss ich jetzt schnell nachholen, dann suchen wir unseren Bus. „Bus? Nein, einen Bus gibt es nicht; so was vermieten sie hier nicht an Touristen. Wir haben einen großen Geländewagen.“ Ach was? Und wie sollen da dann acht Personen mit Gepäck und Fotoausrüstung rein passen? „Also als erstes: drei Teilnehmer haben ein eigenes Auto und ich habe gerade nochmal auf einen größeren Geländewagen upgegradet. Das muss dann gehen!“ Wir laufen über den Parkplatz und versuchen unserem Auto ein Lebenszeichen mit der Fernbedienung abzuringen. Klappt auch bald, und das, was da auf sich aufmerksam macht, ist auf deutschen Straßen wohl kaum zu finden: ein Pickup mit aufgesetzter Kabine – ein riesiger Chevy, ein Ami eben! Mit allem Komfort, den man sich vorstellen kann, von innen sogar besser als jeder Mittelklassewagen zu Hause. Aber mit Lenkradschaltung. Auweia, das hatte ich noch nie. „Das ist nicht so schwer; da gewöhnst du dich dran,“ meint Gabriele. Ihr Wort in Gottes Gehörgang!
Der Weg in die Stadt Jackson Hole dauert nur ein paar Minuten. Kurz nachdem wir die ersten Häuser passiert haben, findet Gabriele bereits einen Parkplatz am Straßenrand und lotst uns zur nächsten Bar, in der sie sich mit dem Rest der Gruppe schon verabredet hat. Da wir dort aber Eintritt zahlen sollen und wir drei eigentlich nur noch etwas zu Essen und dann schnell in unser Bett wollen, ist dies für uns nicht die erste Option. Gabriele bekommt ohne uns Einlass, um die Gruppe zu informieren, und die entscheiden sich dann dazu, uns zu folgen. Gerade ein paar Schritte weiter und um die nächste Ecke herum finden wir die „Wort Bar“, die uns noch beköstigen will. Mit French Fries und einem Sandwich bin ich dann auch schnell zufrieden zu stellen, wir erzählen noch ein wenig, und die, die sich noch nicht von früheren Reisen her kennen, stellen sich vor.
Gegen 23:30 Uhr machen wir uns auf den Weg zu unserem Hotel, dem „Inn at Jackson Hole“, das ca. eine viertel Stunde außerhalb des Stadtzentrums liegt. Gabriele hat unser Zimmer bereits am Nachmittag bezogen, weshalb mir die Suche danach erspart bleibt. Sabrina und Manuela haben da offensichtlich Probleme…
Als wir das Licht löschen, ist es Schlag 0:00 Uhr, ich bin hundemüde und kaum noch zu einem kleinen Schwätzchen bereit, denn zu Hause ist es jetzt 8:00 Uhr am Morgen: Ich bin seit über 24 Stunden auf den Beinen, und das ist komplett entgegen meiner sonstigen Gewohnheit. Ich will nur noch schlafen und somit würge ich Gabriele etwas unsanft ab – denn die möchte sich außerdem gerne am Morgen um 6:00 Uhr auf den Weg zu unserem ersten Etappenziel, der Bitterroot Ranch, machen. Ich sag dann mal: Good night. See you tomorrow!
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