17. Juni 2012 – Vierter Tag

Der nächste Morgen, es ist Sonntag, der 17. Juni 2012, beginnt fast urlaubsmäßig erst um 8:30 Uhr. Um 9:00 Uhr ist die ganze Gruppe zum Frühstück verabredet. Es gibt abgepackte Bagels, Marmelade und Kuchen. Außerdem könnte man sich Waffeln backen: Neben dem für große Waffeln vorgesehenen Eisen steht ein großer Eimer mit Teig – sieht lecker aus… Direkt daneben steht eine Sprühflasche, in der ich Sahne vermute; zumindest sehen so bei uns die Flaschen für Sprühsahne aus. Dass es das nicht ist, erkenne ich, als sich der nächste Gast eine Waffel backen möchte: es ist Sprühfett! So was hab ich noch nicht gesehen! Dass das Fett außerdem nicht hält, was es verspricht, sehe ich, als Gabriele mit ihrem Teller an den Tisch kommt. „Ist trotzdem alles am Eisen kleben geblieben; dabei habe ich schon gesprüht wie verrückt!“ sagt sie, als ich fragend auf die Teigfetzen auf ihrem Teller schaue. Das Schlimmste aber ist der Kaffee. Das, was da an Flüssigkeit aus der großen Thermoskanne gluckert, verdient den Namen Kaffee nicht. Aber was soll’s: Der Hunger treibt’s hinein.

 

Gegen 10:00 Uhr fahre ich mit der Gruppe in die Stadt. Zum einen muss Gabriele sich mal in der Edition melden, zum anderen muss jetzt erst mal anständiger Kaffee her. Maike befragt die Dame an der Rezeption sogar nach dem nächsten Starbucks. Starbucks ist der Dame zumindest schon einmal vom Namen her bekannt, aber in der Nähe gibt es keinen. Dafür beschreibt sie Maike aber den Weg zu einem Coffeeshop mitten in der Stadt – was uns auch recht ist, wenn der Kaffee dort nur gut ist! Und das ist er! Er ist sogar so gut, dass wir dort bleiben bis das Powwow gegen Mittag wieder beginnt bzw. ich Gabriele aus dem Hotel abholen soll.

 

Außerdem habe ich den Auftrag, einen Snack vom goldenen M mitzubringen. Das soll wohl kein größeres Problem darstellen, denke ich mir, und lenke somit den großen Wagen auf den Parkplatz. Das Restaurant ist fast leer, hinter der Theke stehen drei Damen und unterhalten sich. Ich sehe eine davon an, die sich auch gleich aus der Gruppe löst, und gebe meine Bestellung auf: „One salad, please, one French Fries, small, one Coke, middle and the Number 8, please,“ sage ich. Die Nummer 8, ein Chicken-Burger-Menue, kannte ich schon vom Vortag.

Sie lächelt mich an: „The number 8. Three peaces or five peaces?“ fragt sie mich. Was?? Drei oder fünf Stück?? Nein, eigentlich nur einen! Wer soll fünf Burger essen? Ich lege die Stirn in Falten und sage seeeehr fragend: „Three peaces or five peaces?“ Sie sieht mich an, mustert mich einen Moment und sagt: „Ah, you don’t understand!“ „Oh yes, I’m sorry! I’m German!“ sage ich mit einem schiefen Grinsen. Sie hackt auf dem Touchpad herum und haut sich irgendwann  mit der Handfläche vor die Stirn, als wäre ihr irgendeine größere Weisheit aufgegangen; welche verrät sich mir aber nicht. Sie lächelt mich wieder an und fragt weiter: „One French fries?“ „Yes, small.“ „One Coke?“ „Yes, middel.“ „And whitch Salad?“ Ich fuchtel mit der Hand vor der Kühltheke herum und verstehe die Frage nicht, denn da steht nur eine Plastikschüssel mit Salat herum. „And which dressing?“ Boooooooaaach, das kann doch nicht wahr sein!!! Ich bin hier beim goldenen M: da kann man doch nicht sooooo viele Fragen stellen?!! Ich rolle mit den Augen und sehe sie verzweifelt an: „Which dressing?“ „Ja,“ antwortet sie, „welches Dressing möchten Sie denn für den Salat haben? French-Dressing, Joghurt oder Balsamico?“ Mir bleibt der Mund offen stehen! Die spricht Deutsch! Akzentfrei. Ich zeige mit der ausgestreckten Hand auf sie und sage: „SO is besser!!!“ Wir lachen beide. „Wieso sprechen Sie so – nein!“ sage ich, „Sie SIND Deutsche!?“ „Ja,“ antwortet sie, „vor fünf Jahren aus der Nähe von Stuttgart ausgewandert und sehr glücklich hier.“ Wir freuen uns an unserer neugewonnen Gemeinsamkeit und reden ein paar Worte. Dabei erfrage ich auch noch kurz die Geschichte mit den drei oder fünf „peaces“: sie hatte sich im Menue geirrt und dachte ich wollte Chickennuggets. Da bin ich aber froh! Doch nicht ganz so dämlich!

 

Im Hotel angekommen lachen Gabriele und ich noch ausführlich über mein Erlebnis bis wir uns ca. eine Stunde später auch auf den Weg in die Stadt machen. Ein kurzer Blick über die Umzäunung zeigt uns, dass sich beim Powwow noch nicht sonderlich viel tut. Also besuchen wir zuerst das Buffalo-Bill-Museum, welches in mehrere Abteilungen aufgeteilt ist:

 

–       eine Art Naturkundemuseum, das sich im wesentlichen mit dem Yellowstone Park beschäftigt

–       das Prärie-Indianer-Museum

–       das Buffalo-Bill-Museum

–       eine Kunstausstellung

–       eine Waffensammlung

 

William Frederick Cody, der Namensgeber des Museums, wurde1846 geboren, arbeitete bereits als Kind für das Unternehmen Russel & Majors als Zugführer, Wagon Master, Pony-Express-Reiter und Kutscher. Als junger Mann nahm er am Goldrausch in Colorado teil. Später arbeitete er beim Ponyexpress und anschließend als Scout für die Union sowohl im Amerikanischen Bürgerkrieg als auch in Kriegen gegen die Indianerstämme der Kiowa und Comanche in Kansas. Zwischen 1867 und 1868 versorgte er die Arbeiter der Kansas Pacific Railway mit Fleisch. Hierbei tat er sich als sehr erfolgreicher Bisonjäger hervor und erhielt seinen Übernamen „Buffalo Bill“. Von 1868 bis 1872 beschäftigte ihn die US-Armee als Kundschafter (Scout). 1876, nach der Schlacht am Little Bighorn, stellte er sich der US-Armee erneut als Kundschafter für einen Rachefeldzug gegen die Indianer zur Verfügung. Im Gefecht am Warbonnet Creek tötete er den Unterhäuptling Yellow Hand (eigentlich Yellow Hair) und skalpierte ihn mit dem Ausruf: „Der erste Skalp für Custer!“. Yellow Hand blieb, neben seinem Pferd, das einzige Opfer des Gefechtes, welches von den Zeitungen im Osten als große Schlacht aufgebauscht wurde. Ned Buntline, ein US-amerikanischer Journalist aus New York, begann nach einer Begegnung mit Cody Theaterstücke, Berichte und Groschenhefte über „Buffalo-Bill“ zu veröffentlichen, die sehr erfolgreich wurden. Etliche Episoden wurden damals erheblich übertrieben und waren wesentlich an der Bildung der noch heute gültigen Klischees über den Wilden Westen verantwortlich. Cody, der sich 1872 bereits Künstlergruppen angeschlossen hatte und in den Stücken von Ned Buntline aufgetreten war, erkannte seine wirtschaftliche Chance, trennte sich von Buntline und gründete 1883 seine eigene Buffalo Bill’s Wild West Show, die ganz dem unrealistischen Stil der Veröffentlichungen von Ned Buntline und anderen entsprach. Die Show zeigte ein riesiges Aufgebot an Menschen und Tieren, und es gelang Cody, berühmte indianische Häuptlinge wie Sitting Bull als Mitwirkende zu engagieren. Er exportierte seine Show sogar nach Europa, wo er hunderte Vorstellungen gab.

Es ist schon beeindruckend zu sehen, wie die alten Völker gelebt haben, welche Fingerfertigkeiten sie besaßen, wie kunstvoll sie manchmal sogar Gegenstände des täglichen Lebens verzieren konnten und welche Regeln es dort in Sachen Zusammenleben gab. Nicht so schön zu sehen ist es allerdings, wie die Einwanderer in das Land einfielen und mit welch überheblicher Art sie die Indianer unterdrückten, übervorteilten und ermordeten. Außerdem ist es ausgesprochen interessant zu erfahren, mit welchem vielfältigen Equipment sich schon vor weit über hundert Jahren auch von Kontinent zu Kontinent reisen ließ. Der Film, den man sich ansehen kann, zeigt Ausschnitte einer der Shows Buffalo Bills. Insgesamt scheint sie mir allerdings lediglich eine Ansammlung verschiedener Kuriositäten zu sein. An manchen Stellen hätte ich fast erwartet, dass auch Frauen mit drei Augen und Männer mit zwei Köpfen zu sehen wären. Zudem finde ich es ausgesprochen opportunistisch, wie er mit den Indianern umgegangen ist: zuerst umgebracht, dann, als diese Zeit vorbei war, auf gut Freund gemacht und wie Vieh ausgestellt. Aber es ist ja oft so, dass Legenden bei näherem Hinsehen an Glanz verlieren.

Als wir aus der Ausstellung herauskommen, sind Gabriele und ich ziemlich platt, weshalb wir uns in einem der kleinen Gärten ein 10-minütiges Schläfchen gönnen. Danach geht’s weiter zu den Gruppentänzen beim Powwow. Da die Sonne heute besonders stark vom Himmel brennt, suchen wir immer wieder etwas Erleichterung unter den Pavillons. Außerdem sind sie prima Gegenlichtblenden. Als ich gerade einmal eine kleine Pause einlege und am Rande auf dem Rasen sitze, hat Gabriele sich auf den Tanzplatz zu den Indianern gewagt.  

  Plötzlich kann ich beobachten, wie sich von links flotten Schrittes ein Mann, vielleicht so um die 50 und mit angegrautem Pferdeschwanz, nähert und direkt auf sie zugeht. Auweia! Das gibt jetzt Ärger. Er legt ihr von hinten die Hand auf die Schulter, woraufhin sich Gabriele umdreht und: ihm in die Arme fällt! Jaja, ihr wisst schon, was jetzt kommt: Mir steht vor Staunen der Mund offen! Das kann doch jetzt nicht sein, oder? Da sind wir mitten im amerikanischen Outback in einer Stadt, die sich in Deutschland auf Grund der Einwohnerzahl noch nicht mal Kleinstadt nennen dürfte, und Gabriele trifft rein zufällig jemand Bekannten. Die Frau ist immer wieder ein Erlebnis! Die beiden reden miteinander, und sie zeigt kurz auf mich, was dort jedoch gesprochen wird, kann ich nicht verstehen. Dann kommt der Typ direkt auf mich zu, streckt mir die Hand entgegen und sagt: „Servus!“ … Ich bin sprachlos – außer zu einem erstickten „Servus“ und einem dümmlichen Lachen bin ich zu nichts in der Lage. Gabriele steht jetzt auch bei uns und sie will noch wissen, wo denn seine Freundin sei, was er knapp mit „im Camper“ beantwortet, und schon ist der Typ wieder verschwunden. Entweder tut mir die Sonne nicht gut oder ich hab was Falsches in der falschen Dosierung genommen! „Wer war DAS denn?“ bringe ich erst nach einigen Augenblicken heraus. „DAS war der Lebensverschönerer von Magda.“ „Magda?“ „Ja, Magda Dysli!“ „Magda Dysli lebt in Spanien. Was machen die dann hier?“ „Ja, dürfen die keinen Urlaub machen, oder was?“ Jaaaa, neeee, schon… dürfen sie natürlich, aber wer weiß, wie Magda lebt, kommt nicht sofort darauf, dass sie vielleicht auch mal Urlaub machen möchte – finde ich zumindest! „Aha. Und dass er dich jetzt hier gefunden hat, ist reiner Zufall? Ihr habt nicht gewusst, dass ihr alle drei zu diesem Event in Cody sein würdet?“ „Doch,“ sagt sie, „natürlich haben wir das gewusst; wir waren verabredet.“ Diese Antwort lässt sie dann Gott-sei-Dank wieder etwas weniger übernatürlich erscheinen. Bis wir uns wieder mit den anderen treffen, fotografieren wir weiter, und ich versuche noch ein wenig, die Abläufe dieser Powwows zu ergründen. Bei genauerem Hinsehen ist zu erkennen, dass zwischen den Tänzern normal gekleidete Indianer stehen, die Klemmbretter in der Hand haben und immer wieder etwas notieren; was aber genau und vor allem wie bewertet wird, entzieht sich auch weiterhin meinem Verständnis.            Dass dieses Fest nicht ausschließlich Besucherbespaßung ist, zeigt sich kurz nach einer, nennen wir es mal Siegerehrung: da kommt eine ganz Sippe auf den Platz, und der Ansager erzählt ein lange Geschichte: Die Familie möchte allen Anwesenden mitteilen, dass der Großvater, der auch Oberhaupt der Familie ist, eine lange und schwere Krankheit hinter sich gebracht hat und nun wieder vollständig genesen ist. Sie möchten sich bedanken (mir ist nicht ganz klar bei wem genau) und freuen sich und möchten die Freude mit den Anwesenden teilen. Zumindest die indianischen Anwesenden tun das auch und klatschen und scheinen irgendeinen gemeinsamen Segen zu sprechen. Die Zuschauer außerhalb der Pavillons bleiben von diesem Erlebnis seltsam ausgeschlossen; die Indianer sind zwar unter Beobachtung, bleiben jedoch für sich. Ein sehr berührender Moment. 

Gegen 18:00 Uhr verlassen wir das Powwow und fahren wieder Richtung Hotel, wo wir uns kurz frisch machen und schon die ersten Karten auslesen, bevor wir uns um 19:00 Uhr wieder an den Autos treffen. Für heute Abend hat Gabriele einen Besuch der Wildpferde im an Cody angrenzenden Reservat angekündigt. Wir fahren einige Meilen in Richtung Norden und halten Ausschau. Rechts und links der Straße Gegend. Nichts als Gegend. Einigermaßen platt und meist unbewohnt. Hier und da ein kleiner Baum, gelegentlich rote Felsen, die aber auf’s Ganze bezogen kaum erwähnenswert sind. Ach ja: Es gibt einen Zaun auf beiden Straßenseiten! Dann plötzlich der Ruf von hinten: „Antilopen!“ Antilopen! Ja sicher! Dafür sind wir auf dem falschen Kontinent! „Mein Gott,“ sagt Gabriele, „Du hast aber auch gar keine Vorurteile?!“ Nein, hab ich nicht! Antilopen gehören nicht nach Amerika. Das, was dann aber da am Prärierand herumspringt sieht wirklich aus wie Antilopen – richtig glauben kann ich es aber immer noch nicht. Und weil ich bis zum Ende der Reise skeptisch bleibe, werde ich es später nachlesen: es sind keine Antilopen, es sind Gabelböcke!

Der Gabelbock (Antilocapra americana), auch als Gabelhornantilope, Gabelantilope, Gabelhorntier, Gabelhornträger oder Pronghorn bekannt, ist ein nordamerikanischer Wiederkäuer der Prärie. Obwohl seine Gestalt an die Antilopen Afrikas und Asiens erinnert, gehört er nicht zu deren Familie der Hornträger. Er bildet die monotypische Familie der Gabelhornträger (Antilocapridae) als ihr einziger heute lebender Vertreter. Der Gabelbock ist etwas größer als ein Reh. Er hat eine Kopfrumpflänge von bis zu 150 Zentimetern (der Schwanz ist 8 bis 15 cm lang), eine Körperhöhe von 90 Zentimetern und ein Gewicht von 50 bis 70 Kilogramm. Die Männchen sind etwas größer als die Weibchen. Das Fell ist oberseits gelb- bis rotbraun und unterseits bis zu den Flanken weiß gefärbt; weiße Bänder finden sich zudem auf der Vorderseite des Halses und um das Maul herum. Die Männchen haben außerdem eine schwarze Zeichnung im Gesicht und am Hals. Unterscheidbar sind die Geschlechter auch durch die Hörner. Beim Männchen können sie bis zu 25 cm lang werden (meist sind sie doppelt so lang wie die Ohren) und gabeln sich in ein kurzes nach vorne gerichtetes und ein langes nach oben gerichtetes und etwas zurückgebogenes Ende – von dieser Eigenschaft leitet sich ihr deutscher Name ab. Die knöcherne Grundlage des Horns gabelt sich hingegen nicht. Weibchen haben oft gar keine Hörner; falls doch, dann sind diese niemals länger als die Ohren. So! DAS musste an dieser Stelle einmal gesagt werden.

 

Als wir schließlich einen Abzweig in das Reservat entdecken, folgen wir diesem. Das jedoch nicht sehr lange bis wir wieder wenden, denn Gabriele ist sich nicht sicher, ob dies der Hauptweg ist, und wir begegnen weder wilden Pferden noch anderen Menschen. Den nächsten Abzweig auf eine Schotterpiste gibt es ein paar Meilen weiter, und hier sind wir sicher, richtig zu sein, denn ein paar Meter von der Mainroad entfernt steht ein großes Schild: „Keep the Mustang wild! Please stay 500 feet from wild horses!“ 

  In etwas kleinerer Schrift wird darauf hingewiesen, dass man die Tiere nicht stören, nicht füttern und nicht anfassen soll. OK, haben wir verstanden; wir fahren weiter. Einige Meilen lang nichts – überhaupt nichts! Die Landschaft um uns herum liegt nun aber im Licht der untergehenden Sonne, die in Kombination mit einigen Wolken wunderschöne Stimmungen malt.       Dann sehen wir in der Ferne Autos stehen, und bei genauerem Hinsehen können wir in deren Nähe Flecken erkennen, die Pferde sein könnten. Wir haben sie gefunden! Wir haben die wilden Mustangs von Cody gefunden! 

 

Wir nähern uns langsam der Stelle, an der die Tiere am Straßenrand grasen. Die kleine Herde, die wir entdeckt haben, besteht aus Füchsen, Braunen, Braunschecken und Schimmeln. Alles Weiße hat jedoch einen leicht roten Schimmer – vermutlich eher Dreck als wahre Farbe. Und gezeichnet sind sie. Gezeichnet vom harten wilden Leben in der Prärie. Besonders die dunklen Pferde können die vielen Macht- und Stellungskämpfe nicht verbergen. Die hellen Narben machen somit aber auch jedes Pferd einzigartig.

    Meine Gedanken möchten abschweifen in meine Kindheit, zu Szenen aus „Fury“, aber ich werde schnell zurückgeholt, denn auf den Rücksitzen jagen sich die „Ahhhhs“ und „Ohhhs“. Wir sind ausnahmslos alle begeistert! Diese Pferde sind bald genügend abgelichtet, weshalb wir der Piste weiter folgen. Hinter einer kleinen Anhöhe direkt am Pistenrand grasen ein Brauner und ein dunkler Falbe – beides wunderschöne Tiere; dahinter, ein ganzes Stück ins Land hinein, eine ganze Herde von vielleicht 20 – 25 Tieren. Wuuuuuhaaaa!!! Ist das geil! Nachdem wir die beiden Jungs ausgiebig auf die Karten gebannt haben, fährt Gabriele weiter. Wir bestaunen die Herde aus der Ferne und keiner von uns hätte je auch nur einen Gedanken daran verschwendet, die Piste zu verlassen, um ihr näher zu kommen. Da ich Gabriele aber jetzt schon ein paar Tage kenne, reicht ein Blick aus dem Augenwinkel, um zu erkennen, dass sie schon wieder etwas im Schilde führt. Während sie fährt, sieht sie nämlich nicht nach vorn, sondern in den Rückspiegel. Das geht so lange bis sich kein Auto mehr in Sichtweite befindet; dann sucht sie nach einer passenden Stelle, die Piste zu verlassen. Mir wird ganz schlecht: Wenn uns jetzt ein Ranger erwischt?! Gabriele fährt in leichtem Bogen auf die Herde zu und nähert sich ihr vielleicht auf 80-100 Meter. Wir bekommen sensationelle Bilder! Ich kann mein Glück kaum fassen! Hinten werden die Kameras herumgereicht, denn die Fenster auf der letzten Rückbank sind abgedunkelt und lassen sich nicht öffnen – da müssen wir uns halt untereinander helfen.   

 

Die Herde zieht einigermaßen unbeeindruckt von uns einfach weiter und so bleibt uns bald nur die Rückansicht der Tiere. Schöne Rücken können ja bekanntlich auch entzücken, aber nicht sehr abendfüllend. Gabriele fährt weiter, schlägt wieder einen großen Bogen und positioniert sich so, dass die Herde auf der mir abgewandten Seite des Autos steht. Shit! Ich bekomm kein gescheitet Bild zustande. Auch an Gabriele vorbei zu fotografieren hilft mir nicht wirklich weiter, denn die ist ständig in Bewegung. Ein paar Minuten will ich Frust schieben, aber das verhilft mir auch nicht zu guten Fotos. Da fällt mir ein, dass der Wagen doch Vollkasko versichert ist und wir in den vergangenen Tagen auch nicht sonderlich zimperlich mit ihm umgegangen sind – warum mich jetzt also auf die Umgangsweise beschränken, die ich mit dem eigenen Auto hätte? Das Fenster also ganz herunter gelassen, kurz die Kamera auf das Armaturenbrett gelegt, mich aus dem Fenster herausgezogen und auf die Tür gesetzt. ASTREIN! Geile Idee! Ich spiel wieder mit. Maike folgt meinem Beispiel und so fotografieren wir: grasende Pferde, spielende Pferd, Pferde bei der Fellpflege und sogar ein kleines Kämpfchen. 

      Mittlerweile ist es kurz vor 21:00 Uhr, und auch mit 6400 ISO sind die Kameras jetzt an ihre Leistungsgrenze gekommen. Schweren Herzens beschließen wir, die Mustangs für heute Mustangs sein zu lassen und treten den Heimweg an. Gabriele weiß nicht ganz genau, wie weit wir in das Reservat hineingefahren sind, uns scheint es jedoch auf jeden Fall schlauer, der Piste weiter zu folgen, um dann wieder auf die geteerte Mainroad zu kommen, über die sich dann schneller fahren lässt. Während dessen geht zu unserer Linken die Sonne hinter ein paar Bergen glutrot unter.   Zwischendurch machen ein paar Regenschwaden das Bild noch interessanter. Je weiter wir fahren, umso hügeliger wird das Gebiet um uns herum, und auch die Piste macht diese Geländeform mit – ein witziger Anblick.    Nach etlichen solcher Hügel scheint einer besonders lang zu sein, und wir fahren stetig auf den Gipfel zu. Als wir über die Kuppe kommen, ertönt im ganzen Auto ein achtstimmiges „Wooooowwww!“ Zu unseren Füßen liegt ein weites Tal. Die Hänge aus rotem und sandfarbenem Stein, die Höhen mit grünem Gras und Büschen bedeckt – soweit das Auge reicht! Gabriele hält an, wir steigen aus und bestaunen die kleinen, oder auch größeren Wunder der Natur. Und obwohl mittlerweile nun wirklich gar kein Licht mehr da ist, müssen wir dieses Tal ablichten – dass dabei keine großen Kunstwerke herauskommen, versteht sich von selber. 

 

Ein weiteres Mal hat Gabriele Schwierigkeiten, uns ins Auto zu bringen, denn wir können uns erst lösen, als wirklich gar nichts mehr zu erkennen ist. Wir folgen der Piste noch einige Meilen und stoßen dann tatsächlich wieder auf die Mainroad. Wir biegen nach rechts ab und fahren, erst noch ohne genau zu wissen, wohin uns die Straße führen wird. Da im wenig besiedelten Wyoming die größeren Straßen aber recht übersichtlich verteilt sind, ist die Auswahl nicht sonderlich groß, und bald stellen wir fest, dass wir goldrichtig sind. Ein Schild weist auf eine Kreuzung hin und zeigt an, dass es noch gut 30 Meilen bis Cody sind.

 

Um 22:00 Uhr sitzen wir beim goldenen M –meine neue Bekanntschaft ist leider nicht mehr im Dienst- und unternehmen etwas gegen den aufkommenden Hunger. Wir waren während der letzten drei Stunden so beschäftigt, dass wir gar nicht bemerkt haben, wie lange die letzte Mahlzeit schon her ist. Kaum eine Stunde später liegen wir in unseren Betten, mir fallen die Augen zu, mein Kopf ist total leer – oder viel zu voll, ich weiß es nicht so genau. Der letzte Gedanke, zu dem er heute noch fähig ist, ist ein leises: „Servus!“

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